Wie die Aubergine in Gera Superstar wurde: Kulinarisches mit einer Prise Regionalstolz

Nun musste der geübte tapfere DDR-Bürger sich natürlich offenbaren und gegensätzliche Erfahrungen, die meisten hätten sie nie sammeln mögen, als Ausgleich ausstoßen. Das Fremde wurde stets pragmatisch und fast ohne Annährungsversuche vernommen. Die Werktätigen in beiden Länder wollten der gegenseitigen simplifizierten Völkerverständigung auch kulinarisch nicht sonderlich nachhelfen. Aus gutem Grund! Die Bulgaren hatten sich unverzüglich zu entscheiden zwischen Mark der DDR und Exporte gegen DM. Unsere Soz.- Brüder liefen uns ja nicht weg aber Obst und Gemüse für harte Währung zu verkaufen kann man nicht jeden Tag tun. Es gab aber auch Obst- und Gemüsearten, die ziemlich unbekannt und dadurch unpopulär waren. Besonders betroffen waren damals etwas exotisch erscheinende Sorten wie z. B.  Auberginen oder Tomatenpaprika. In dem Buch „Wir kochen gut“ oder in dem „Rezeptbuch, für alle Leute, die mit Leidenschaft backen und brutzeln, kochen und mixen und …essen“, zwei Standartwerke für jede gute Hausfrau, sind insgesamt vier Kochrezepte vorhanden, die ein breites Publikum für das Gemüse „Aubergine“ nicht wirklich begeistern könnten.

Noch weniger erfreut waren die Verkäuferinnen, die ab und zu Lieferungen mit Auberginen bekamen. Die wenigsten Frauen kannten dieses Gemüse oder haben schon mal „geröstete Auberginen“ oder „Auberginen-Hackfleisch-Auflauf“ im Urlaub gegessen. Die bulgarische Küche ist zwar gesund und reich an Gerichte mit Obst und Gemüse, aber in Hotels verständlicherweise wird kaum traditionelles Essen angeboten. Manche Zubereitungen konnten als sehr gewöhnungsbedürftig, auch für die Einheimischen, eingestuft werden. In einigen Regionen Bulgariens werden sogar Quitten statt Kartoffel für Eintöpfe mit Speck und Fleisch verwendet. All das war weiter überliefert und mit viel Humor ausgewertet. Trotz aller Bemühungen blieben einige leckeren und nicht ganz leckeren Eigenschaften der bulgarischen Küche für den deutschen Tourist, von beiden Staaten, aus obergenannten Gründen verborgen.

Mitte der achtziger Jahre aber geriet die Aubergine in einen Marketingkampf, den die schmackhafte dunkel-lila Gemüse gar nicht wollte und nur durch Zufall für sich entscheiden durfte. Die Geschichte fing ganz harmlos und unspektakulär an. Aus dem Fenster meines Arbeitszimmers habe ich gesehen, dass eine Verkäuferin mit dem Fahrer eines Lieferautos kräftig diskutiert hatte. Nur als Ergänzung: Die Kaufhalle existiert nicht mehr. Der Plattenbau mit Kaufhalle, Gemüseladen, Exquisit, Kinderladen, Porzellangeschäft und Musikgeschäft im Zentrum der Stadt wurde abgerissen.

Also, es waren keine Bananen, Mandarinen, Rosentaler Kadarka oder „Negerküsse“  weit und breit zu sehen, deshalb wurde die Beobachtung als „nicht aufregend nützlich“ und „uninteressant“ eingestuft. Später, auf dem Weg nach Hause sah ich eine große Palette, voll mit großen, gut gereiften Auberginen, und gleich fünf Kilo mitgenommen. An der Kasse standen zwei Frauen, die meine sichtliche Begeisterung und Freude, genau beobachteten. Eine fragte sehr vorsichtig: Sind das Auberginen oder? Ich bejahte. Sind die Auberginen Obst oder Gemüse? Wie sollen sie schmecken, süß oder bitter? Nach ausführliche Erklärungen, dass man sie nicht roh essen darf und geröstet, gebacken, gebraten oder gekocht schmecken sie vorzüglich, dürfte ich noch eine Stunde Kochrezepte und Vorbereitungstipps dem Publikum im Laden, das sich vermehrt hatte,  erzählen und erklären. Am nächsten Tag geschah wieder das Gleiche: zehn Kilo gekauft und wurde sofort gefragt wozu die Menge und was gedenke ich damit zu veranstalten. Wieder Kochkurs mit Marketingeigenschaften. Das Ergebnis ließ sich sehen, die Palette war fast leer geworden. Zwei Tage später, in der Mittagspause, hat mich die Verkäuferin gesehen und kam zur mir mit drei Auberginen, mittlerer Größe, in der Hand: „Bitte, nehmen Sie sie! Dank Ihrer Hilfe sind nur drei übrig geblieben. Ich habe auch welche mit Knoblauch und Zwiebel geröstet und es hat uns sehr gut geschmeckt. Den Kindern aber nicht. Mal anders essen, südlich eben.“ Nachdem ich mich höflich bedankte und wieder auf Arbeit ging, erzählte ich meiner Kolleginnen was für einer Marketingprofi geworden war. Das Ende vom Lied war ein Zusammenessen mit eigenhändig gerösteten Auberginen, ohne Knoblauch versteht sich. Immerhin, man kann mit gutem Gewissen behaupten: So kamen die Auberginen nach Gera.

Dass es von Nationalgemüsen und Nationalspeisen erzählt wurde, darf auf keinen Fall überbewertet werden. Es handelt sich um zwei eher spielerisch verwendete Ausdrücke. Aber sie haben doch wohl einen ernsteren Hintergrund: Diese Begriffe schließen die kollektive Erinnerung ein an die Zeiten, in denen die nationale Identitäten eher als geschichtliche Hinterlassenschaften existierten. Der Blick auf die Eigenschaften der nationalen Speisekarte ist nicht nur die langweilige Feststellung, dass es eben traditionelle Differenzierungen in der Küche gibt. Der Hinweis ist nicht selten durchaus mit einer Prise Nationalstolz verbunden – wobei es sich in der Tat um Regionalstolz handelt, die mit dem Bekenntnis der Zugehörigkeit zu einer nationalen Tradition, einem bestimmten Menschenschlag, nicht zu einer kollektiven Vorstellung, zu tun hat.

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