Linguistische Verwirrungen und …

Bei unserer Ankunft in DDR hatten wir von Leben, Sitten, Gebräuche und Sprache überhaupt keine Ahnung und selbstverständlich, obwohl wir uns nicht anmerken lassen wollten, eine sehr naive Vorstellung aus heutiger Sicht, jeder hat es sofort gemerkt, dass wir Bulgaren waren. Meine, damals noch rabenschwarze Haare, verrieten mich unweigerlich als Südländerin. Man brauchte gar nicht den Mund aufzumachen um etwas zu sagen. Heute, wenn auch in grau-melierter Form, sind sie meiner Identität zum Verhängnis geworden. Viele dahingehende Bemerkungen empfand ich damals überhaupt nicht als Beleidigung. Wir waren keine Gastarbeiter, keine Ausländer, sondern Wissenschaftler und Künstler, Fachkräfte aus einem sozialistischen Bruderland, die beim Aufbau des Sozialismus in der DDR helfen sollten. Es gab wenigen Menschen, in der DDR genauso wie im Rest der sozialistischen Welt, die das Fremde meiden wollten, besonders wann das Fremde äußerst unbeholfen war. Wie es öfters der Fall war, wenn man gerade die Sprache im Selbststudium blitzschnell lernen musste.

Zwei Wochen, nachdem wir unser Leben in Gera angefangen hatten, wollte ich wie jede gute Hausfrau, Milchreis kochen. Ehrlich gesagt, für mich eine hohe Kunst. Natürlich ist das alles für viele Frauen eine alltägliche Tätigkeit, banal und langweilig. Aus meiner Sicht, erfahrungsgemäß gesehen, eben nicht direkt einfach. Positive Einstellung zum Geschehen und Zuversicht waren angesagt und natürlich vorhanden. Man muss sich irgendwann auch das Unmögliche wagen!

Als erstes fragte ich meine liebe Frau Clauberg, Gott segne ihre Seele, was man alles, außer Reis und Milch, für Milchreis benötigen würde. Sie fing mit einer Beschreibung der richtigen Reissorte an. Ich war mit der detaillierten Erklärungen richtig überfördert. Die vorhandene Sprachkenntnisse ebenso.

Nach langen Überlegungen stellte ich fest, dass für Milchreis noch Zimt benötigt wird. Die ganze Familie, bewaffnet mit der besten Ausgabe (1937!!!) des bulgarisch-deutschen Wörterbuchs von Prof. Dinev, ging auf die Suche nach dem exotischen Gewürz. Der Tee- und Gewürzladen in der Johannisstraße war die beste Adresse in der Stadt, wo man mit Sicherheit Zimt finden konnte. Dachten wir. Unser Abenteuer „Sprachen und Völkerverständigung“ fing mit dem Wörterbuch und dem bulgarischen Wort für Zimt an. Die Verkäuferin, eine sehr nette, hilfsbereite und für das Fremde aufgeschlossene Frau, wirkte nach dem Nachschlagen auf der von uns gezeigten Seite etwas verwirrt, aber festentschlossen uns zu helfen. Sie versuchte die ganze Zeit mit unverständlichen Drehbewegungen ihrer Hand uns klar zu machen, dass unser „Gewürz“ in der angegebenen Übersetzung in dem Laden nicht vorhanden war. Ich wiederholte „cinnamon“ und in perfektem Englisch beschrieb das „Milchreis-Rezept“ und wozu „cinnamon“ bräuchte. Die Schlange, die sich langsam  hinter uns gebildet hatte, beteiligte sich lebhaft an der Diskussion und jeder wollte nur eins den Sachverhalt zu klären und uns zu helfen.

Nach etwa 20 Minuten erfolglosen Versuchen schaute ich noch einmal im Wörterbuch nach und fing an Tränen zu lachen. Das bulgarische Wort „kanela“ hat auch eine alte Bedeutung. Sie schien für Prof. Dinev viel wichtiger als die Übersetzung für Zimt gewesen zu sein, nämlich „Kran/Wasserhahn“. Daher die Drehbewegungen mit der Hand! Nach kurzer, sehr bildhafter Erklärung, mehr Gestik als Sprache, lachte die ganze Schlange im Landen. Trotz aller Bemühungen und philologischer Anstrengungen wussten wir immer noch nicht wie man „kanela“ auf Deutsch übersetzen sollte und mussten unverrichteter Dinge wieder gehen. In der Kaufhalle, gegenüber von der Bibliothek (schon abgerissen), nach heftiger Schnuppersuche, fanden wir unseren Zimt. Die Frage: „Wie heißt es „kanela“ auf Deutsch?“ kann als philologisches Beispiel für das subjektive Empfinden des Herausgebers eines bulgarisch-deutschen Wörterbuchs ins Lehrbuch für den klassischen Übersetzungseffekt eingehen.

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