Ich hätte gern zwei Gurken, bitte!

Bulgarien und Ungarn waren als Hauptlieferanten für die Obst- und Gemüseversorgung im sozialistischen Lager zuständig. In der Tat, gab es einige Jahre in denen auf dem Markt und in dem Laden auch Paletten mit Weintrauben, Pfirsichen, Aprikosen, Paprika und Auberginen zu sehen waren. Sie kamen aus diesen Ländern bis sich der Westmarkt für ihre Produkte geöffnet hatte und die Exporte gingen sofort in die entgegengesetzte Richtung, nämlich westwärts. Es geschah was, wirtschaftlich gesehen, geschehen sollte. Die harten Währungen waren begehrter und viel lieber als Brüderschaft und gegenseitige sozialistische Hilfe. Die DDR, als Importland, stand auf den ungarischen und bulgarischen Exportlisten ganz hinten dran. Südfrüchte wie Apfelsinen, Bananen, Mandarinen blieben für alle, nicht nur für Bürger der DDR, eine Seltenheit, deren Erwerbung mit Erfolgserlebnissen und Siegesgefühl höchsten Grades verbunden war.

Obst und Gemüse waren in der DDR deutlich subventioniert, auch als Kleingärtnerproduktion aufgekauft, und trotzdem, dass man sie direkt auf dem Wochenmarkt oder im Laden kaufen konnte, war keine Selbstverständlichkeit. „Luxusgüter“ wie frische Gurken lagen manchmal in weiter Ferne, unter dem Begriff „Obst- und Gemüseversorgung“ hätte sich niemand Regelmäßigkeit vorstellen können und selbst die Kinder wussten wie sich korrekt bei einer unerwarteten Lieferung verhalten sollten. Wie in diesem Fall.

Eiligen Schrittes ging unsere Erstgeborene in den Gemüseladen neben der Georgi-Dimitroff-Grundschule, wie die heutige Otto-Dix-Schule im Untermhaus damals hieß, weil frische Gurken gesichtet worden waren und hat sich unverzüglich angestellt. Ein ungeschriebenes Gesetz schrieb es vor: Jeder durfte nur eine Gurke kaufen. Unverschämt: Sie bat gleich um zwei Gurken.

Die Verkäuferin hat selbstverständlich gefragt warum hätte sie gern zwei Gurken gekauft. Kaum war die erste Katastrophe mit der Zwei-Gurken-Bitte vorbei, folgte die nächste. Die sofortige Antwort konnte man einem Desaster gleichstellen: Weil Mutti schwanger ist und braucht Vitaminen. Und beendete das Kind die ganze Befragung mit dem ehrlichen Zusatz: Außerdem esse ich selbst so gern frische Gurken. Die Verkäuferin hat auf weiteren prüfenden Fragen verzichtet, dem Kind zwei Gurken verkauft und noch eine geschenkt. Das Mädchen war neun Jahre alt, kannte den Wochenmarkt in Varna mit einer Fülle an Obst und Gemüse, das bescheidene Angebot in dem Gemüseladen neben der Schule. Frischen Gurken sind heute noch ihr Leibgericht, besonders als „Tarator“, eine kalte Sommersuppe aus Joghurt, Dill, Knoblauch, Olivenöl, Salz und natürlich Gurken, viel Gurken zubereitet. Ihre Tochter, unsere Enkeltochter, hat diese Vorliebe weiter geerbt und kann Gurken, wenn es möglich wäre, mit jeder Mahlzeit essen, Nachtisch nicht ausgeschlossen.

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